27.11.2025 | Über 100 Terawattstunden pro Jahr weniger: Das wundersame Schrumpfen des künftigen deutschen Strombedarfs

Bund entlastet fossile Energien und rechnet Strombedarf klein – Solar Cluster warnt vor massiven Folgen für Energiewende

Die realistische Berechnung des künftigen Strombedarfs ist eine zentrale Größe, um die Energiewende zu steuern. Derzeit wird um den richtigen Wert gerungen. Die Bundesregierung hat jüngst die Prognose nach unten korrigiert – entgegen den Einschätzungen aller Fachinstitute. Statt bis zu 700 Terawattstunden pro Jahr sollen es 2030 nur noch knapp 600 sein. Zugleich senkt die Koalition die Kosten fossiler Energien. Der Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien soll so gebremst werden. Darauf weist das Solar Cluster Baden-Württemberg hin und warnt: Wer den Ausbau der Erneuerbaren verzögere, erzeuge Risiken für die Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und das Erreichen der Klimaziele. Der Trend lasse sich ohnehin nicht mehr stoppen. Die Bundesregierung solle daher ihre Energieplanung wieder auf eine belastbare Grundlage stellen. Notwendig seien ehrliche Stromverbrauchsprognosen statt politisch motivierter Korrekturen, ein beschleunigter Ausbau von erneuerbaren Energien, Netzen, Speichern und Flexibilitätsoptionen und eine vollständige Erfassung neuer Großverbraucher. Zudem seien klare politische Leitplanken für die Elektrifizierung von Wärme und Verkehr sowie verlässliche Rahmenbedingungen erforderlich, damit Unternehmen und Haushalte investieren können.

„Deutschland braucht keinen klein gerechneten Strombedarf, sondern eine realistische Grundlage für die Energiewende“, so Andreas Schlumberger, Geschäftsführer des Solar Clusters. „Wer den Verbrauch künstlich absenkt, schafft eine Scheinsicherheit – und riskiert eine Versorgungslücke in den 2030er- und 2040er-Jahren. Das ist klimapolitisch unverantwortlich und energiepolitisch fahrlässig.“

Stromverbrauch 2030 und 2045: politisch kleingerechnet – fachlich unhaltbar

Die Strombedarfsprognose ist zentral für die Energiewende, sie steuert alle wesentlichen Entscheidungen. Aus diesem Grund ist sie die Leitgröße des gesamten Transformationspfads und muss auf einer belastbaren Grundlage stehen. Zwischen Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche und unabhängigen Fachinstituten klafft seit September jedoch eine deutliche Lücke. Reiche hält 590 Terawattstunden pro Jahr 2030 für ausreichend. Die Denkfabrik Agora Energiewende kommt dagegen auf mindestens 700 Terawattstunden – gut 18 Prozent mehr als der Zielwert der Bundeswirtschaftsministerin. Der aktuelle Monitoringbericht weist sogar eine Spanne von 530 bis 910 Terawattstunden aus – die Bundesregierung legt sich jedoch ausschließlich auf die unteren Werte fest.

„Wenn der Strombedarf künstlich niedrig angesetzt wird, folgt daraus zwangsläufig ein geringerer Ausbaupfad für erneuerbare Energien“, warnt das Solar Cluster Baden-Württemberg. Zwar hält das Ministerium formal an 80 Prozent erneuerbarem Strom bis 2030 fest, vermeidet aber die Festlegung auf eine klare Bezugsgröße. Damit steigt das Risiko, dass das Ziel faktisch aufgegeben wird. Die Bundesregierung begründet ihre Absenkung mit rückläufigem Stromverbrauch in den Jahren 2021 bis 2023. Diese Entwicklung ist jedoch überwiegend krisenbedingt: gedämpfte Industrieproduktion, Nachwirkungen der Pandemie, Effizienzmaßnahmen und ein Photovoltaikboom mit hohen Eigenverbrauchsanteilen. Eine dauerhafte Trendwende ist daraus nicht abzuleiten.

Wissenschaftlich fundierte Prognosen auch anderer Institutionen liegen stabil bei 650 bis 710 Terawattstunden im Jahr 2030. Für 2045 erwarten nahezu alle Analysten eine Verdopplung bis Verdreifachung des heutigen Strombedarfs von rund 465 Terawattstunden – getrieben durch Elektrifizierung in Wärme, Verkehr und Industrie sowie das Kühlen von Gebäuden und durch zusätzliche Großverbraucher.

Elektrifizierung der Wärmeversorgung lässt sich nicht aufhalten

Durch Katherina Reiches Eingreifen wird 2026 die Gasspeicherumlage mit 3,4 Milliarden Euro aus dem Klimaschutz- und Transformationsfonds (KTF) finanziert – eine direkte Subvention für fossile Energien. Gleichzeitig sollen Vorgaben für alte Gas- und Ölkessel gelockert werden. Fachverbände sehen darin vor allem ein Signal, die Wärmepumpendynamik zu bremsen. Fallende Wärmepumpenzahlen bedeuten mittelfristig ebenfalls geringere Strombedarfsprognosen – eine weitere Stellschraube, die den Ausbau der Erneuerbaren rechnerisch verkleinert.

Die Elektrifizierung der Wärmeversorgung lässt sich indes nicht mehr aufhalten. Die Wärmepumpe etwa wird mit zunehmender Sicherheit zu der wichtigsten Heizungstechnologie werden. Schon jetzt ist sie die meistverkaufe Heizungsart. Im ersten Halbjahr 2025 hat sie mit 139.5000 Exemplaren und einem Plus von 55 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum die Gasheizung erstmals von der Spitze verdrängt. Gasheizungen verloren dagegen massiv. Mit 132.500 verkauften Geräten brach ihr Absatz um 41 Prozent ein. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland noch zurück, wird hier aber sicher aufholen. Das bedeutet einen höheren Stromverbrauch.

Künftig viel Strom zum Kühlen erforderlich

Nicht nur wird der Strombedarf in den bisherigen Verbrauchssektoren nicht sinken, sondern er wird in neuen auch steil ansteigen. So steht zu erwarten, dass mit zunehmenden Sommertemperaturen immer mehr Klimaanlagen für die Kühlung betrieben werden. Eine Studie der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt folgerte 2021, dass der „Anstieg des Energiebedarfs für die Kühlung erheblich sein dürfte und starken Einfluss auf unser künftiges – elektrifiziertes – Energiesystem haben kann“. Damit „würde bis Mitte des Jahrhunderts fast genauso viel Energie zum Kühlen wie zum Heizen benötigt“. Rechnet man die Zahlen aus der Schweiz mit knapp neun Millionen Einwohnern auf Deutschland hoch, würde allein der Kühlbedarf aus der fortschreitenden Erwärmung über 50 TWh Strom erfordern. Die dena bestätigt den Trend in einer aktuellen Übersicht zur Marktentwicklung bei Klimaanlagen und unterstreicht: „Wer gebäudenahe Solaranlagen betreibt, generiert genau dann viel Strom, wenn auch der Bedarf an Klimatisierung wegen der Mittagshitze hoch ist – eine Symbiose, die mehr genutzt werden sollte.“

Rechenzentren: stark steigender Bedarf

Ein anderer Zweig, dessen enormer Energiebedarf sich schon heute niederschlägt, sind Rechenzentren. Aufgrund der KI-Anwendungen ist hier ein besonders rasanter Anstieg zu erwarten. Im letzten Jahr haben die deutschen Rechenzentren bereits rund 20 Terawattstunden verbraucht. Die Übertragungsnetzbetreiber gehen in ihrem „Szenariorahmen Strom“, basierend auf einer Marktabfrage, für den Zeitraum zwischen 2037 und 2045 von einem Bedarf bis zu 88 Terawattstunden aus. Sogar der Monitoringbericht kalkuliert mit einem Zuwachs von rund 50 Terawattstunden.

Gleichzeitig gibt es nach wie vor keine vollständige Bilanzierung dieses Verbrauchs, insbesondere nicht für dezentrale KI-Anwendungen. Für eine seriöse Energieplanung braucht es hier weitere Schritte. Tatsächlich sehen Experten wie Dave Stangis, einer der CEOs des Großinvestors Apollo Global Management, den Stromhunger der Rechenzentren weltweit als geradezu bedrohlich groß an: „Die Lücke zwischen dem, was KI verlangt, und dem, was wir weltweit im Netz an Erzeugung und Übertragung haben, ist riesig — und sie wird sich zu unseren Lebzeiten nicht schließen.“

E-Mobilität: bis zu 119 Terawattstunden zusätzlich

Der Stromverbrauch im Verkehrssektor ist zwischen 2005 und 2024 von 13 auf 17 Terawattstunden gestiegen; rund 6 Terawattstunden entfallen auf die Straße. Auch hier wird der Stromverbrauch steigen, sollte die Politik die Verkehrswende ambitioniert verfolgen. Das Deutschland-Ziel bei der E-Mobilität lautet „15 Millionen E-Autos bis 2030“. Nimmt man diese Zahl ernst und verrechnet sie mit der durchschnittlichen Fahrleistung sowie einem mittleren Stromverbrauch von 20 Kilowattstunden pro 100 Kilometer, ergäbe schon dies einen Bedarf von rund 37 Terawattstunden.

Im letzten Jahr haben deutsche Autos nahezu 600 Milliarden Kilometer zurückgelegt. Diese Strecke elektrisch zu bewältigen, würde sogar 119 Terawattstunden verlangen. Einen möglichen Ausstieg aus dem Verbrenner-Aus und die kurzfristig stagnierenden Absatzzahlen als Grund für einen geringeren Anstieg des Stromverbrauchs heranzuziehen, sei daher politisch bequem, aber energiepolitisch riskant, so das Solar Cluster.

Gasstrategie statt Erneuerbare – international gegen den Trend

Die Bundesregierung hat sich Mitte November 2025 darauf verständigt, zur Sicherung der Stromversorgung im Jahr 2026 steuerbare Kraftwerkskapazitäten im Umfang von zehn Gigawatt auszuschreiben, die bis 2031 in Betrieb gehen sollen. Die EU-Kommission wird diesem Plan voraussichtlich zustimmen. International geht der Trend klar in die Gegenrichtung: Über 90 Prozent der weltweit neu zugebauten Kraftwerkskapazität stammen inzwischen aus erneuerbaren Energien. Die Abhängigkeit von LNG-Lieferländern bleibt dagegen ein hohes geopolitisches Risiko. Ursprünglich war zwar begleitend zum Ausbau der Gaskraftwerke noch deren künftiger Betrieb mit Wasserstoff in Aussicht gestellt worden – was sich inzwischen aber verloren hat: Wo der Wasserstoff herkommen soll, ob die zehn Gigawatt Gaskraftwerke überhaupt auf seinen Einsatz ausgelegt werden – all das bleibt ungelöst.

Systemkosten und Wirtschaftlichkeit: Erneuerbare sind längst günstiger

Die Systemkosten der Energiewende liegen laut Analysen der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm bei unter acht Cent pro Kilowattstunde. Erneuerbare Energien sind daher heute klar günstiger als fossile Erzeugungsformen. Die Bundesregierung bedient dennoch ein Framing, das Erneuerbare als Kostentreiber inszeniert. In der Praxis entstehen Kostenrisiken jedoch vor allem dort, wo fossile Strukturen erhalten bleiben. Das bestätigen auch die Fachleute, die das Science Media Center zum Strombedarf im Jahr 2030 befragt hatte: „Die Bundesregierung sollte Ausbauziele, wenn überhaupt, vorsichtig reduzieren: 2030 wären zu wenig Erneuerbare und Stromnetze gravierender für Versorgungssicherheit und Kosten als zu viele.“

Fazit

Die Bundesregierung nutzt zu niedrige Stromverbrauchsannahmen, um den Ausbau erneuerbarer Energien politisch auszubremsen. Gleichzeitig wird fossile Energie finanziell entlastet. Wissenschaftliche Prognosen widersprechen diesem Kurs klar: Der künftige Bedarf wird deutlich höher liegen. Ohne eine realistische Bedarfsplanung droht Deutschland, seine Klimaziele, seine Versorgungssicherheit und seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Entsprechend muss der Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt und nicht, wie jetzt, der fossile Energieverbrauch finanziell entlastet werden.

Betrachtet man die weiteren Initiativen der Regierung, ergibt sich ein Gesamtbild ihrer Haltung: Klimaschutz beschädige die Wirtschaft, das Verbrenner-Aus in Brüssel müsse verhindert werden und der ETS2-Start werde auf 2028 verschoben. Deutschlands Klimabeitrag sei zudem viel zu klein, um relevant zu sein. „In Summe bleibt der Eindruck, diese Regierung klammert sich, schlecht beraten von den Profiteuren gestriger Technologien, an die fossile Energieversorgung. Nach Bismarck nennt man dies ‚Selbstmord aus Angst vor dem Tod‘“, so Andreas Schlumberger.

Auf dem auf dem deutsch-französischen Digitalgipfel am 18. November 2025 sagte Friedrich Merz: „Ja, digitale Souveränität hat Kosten. Aber die digitale Abhängigkeit hat noch höhere Kosten.“ Das Solar Cluster Baden-Württemberg würde es begrüßen, wenn sich der Kanzler und seine Wirtschaftsministerin diese Einsicht auch bei der Versorgung Deutschlands mit erneuerbaren Energien zu eigen machen wollten.

Pressemitteilung zum Download als PDF

Medienkontakt
Solar Cluster Baden-Württemberg e.V.

Andreas Schlumberger

Tel.: +49 711 7870-309
E-Mail: andreas.schlumberger@solarcluster-bw.de
Internet: www.solarcluster-bw.de

Foto: Solar Cluster Baden-Württemberg

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